
Das Trauma – Wir brauchen Trost… und Trigger!
Das Trauma – Wir brauchen Trost… und Trigger?
Ist dieser Titel eine Provokation?
Wozu sollten Trigger gut sein? Oft fühlt es sich quälend und schmerzvoll an, wenn etwas triggert. Brauchen wir das wirklich?
Es ist Herbst. Du gehst mit deiner Freundin im Wald spazieren. Das späte Sonnenlicht fällt durch die goldgelben Blätterkronen diverser Baumarten. Du inhalierst den Duft des Waldbodens. Eure Gespräche drehen sich um den vergangenen Urlaub und um die Frage, ob die Esskastanien, die ihr gesammelt habt, besser in der Pfanne geröstet oder gekocht im Auflauf schmecken. Das Leben fühlt sich gerade gut an…
Der Trigger – Plötzlich und unerwartet
Euch kommt eine andere Spaziergängerin entgegen. Sie führt einen Hund mit sich. Du siehst sofort, dass der Hund nicht angeleint ist. Du spürst, wie sich dein Körper anspannt. Der Hund, ein Boxer, läuft locker auf euch beide zu. Die Halterin ruft ihn beim Namen. Anton. Aber Anton reagiert nicht. Du atmest schneller. Der Hund kommt in leichtem Galopp näher. Du bleibst stehen, spürst ein Kribbeln in beiden Händen. Nur noch ein paar Meter. Jetzt stockt dein Atem. Dein Körper handelt längst im Autopilot. Du suchst Schutz hinter deiner Freundin. Währenddessen ruft die Halterin euch zu, dass er nicht beißt. Bei euch angekommen, springt der Hund an deiner Freundin hoch. Er kläfft ein paarmal. Du reißt schutzsuchend die Arme über den Kopf. Dein ganzes Gesicht ist ein Ausdruck blanker Panik.
Endlich kommt die Halterin, entschuldigt sich kurz und nimmt Anton an die Leine. „Er ist noch sehr jung“, erklärt sie. „Er muss noch lernen, dass er das nicht darf.“
Du möchtest etwas erwidern, bringst aber keinen Ton raus.
Hund und Halterin gehen weiter.
Dein Herz rast. Verzweifelt versuchst du, Atem und Herzschlag wieder unter Kontrolle zu bringen. Wie war das nochmal? Länger aus- als einatmen? Oder umgekehrt? Deine Beine fühlen sich an wie Pudding und du setzt dich auf einen umgefallenen Baumstamm.
Deine Freundin setzt sich zu dir. Sie fragt, ob sie dich anfassen darf? Du nickst stumm und sie legt ihren Arm um deine Schultern. Sie lädt dich ein, mit ihr in einem gemeinsamen Rhythmus zu atmen. Du probierst es ein paar Atemzüge lang aus. Endlich kommen Tränen. Der Herzschlag wird ruhiger. Der Druck lässt nach. Deine Knie zittern.
Trauma, Trost und Trigger…
Was ist passiert?
Der Trigger (in unserem Fall der freilaufende Hund) holt das im Körper abgespeicherte Trauma aus seinem Dornröschenschlaf. Er lässt dich spüren, dass da noch etwas Unverarbeitetes schlummert. Damals… als du fünf warst. Der Hund des Nachbarn. Es war ein Foxterrier, der dir ins Bein gebissen hat. Blut, Schmerzen, Notarztwagen, Krankenhaus, Angst. Das gesamte, im Körper abgespeicherte Drama wird wieder lebendig…
Der Körper erinnert sich. Das tut er auch dann, wenn das Trauma so früh geschah, dass du keine kognitive Erinnerung mehr an den ursprünglichen Vorfall hast. Der Körper erinnert sich dennoch. Und das tut er so oft bis es dir gelingt, ihm zu signalisieren, dass die Situation heute sicher ist. Darum ist es gut, ein paar Methoden zu kennen, die für dich im Ernstfall hilfreich sind.
Das Trauma – Was hilft?
Der Atem beispielsweise ist ein starkes Tool, um einen aus dem Ruder geratenen Herzschlag wieder zu beruhigen. Tiefes langsames Ausatmen aktiviert den Parasympathikus und signalisiert dem Körper, dass die Situation sicher ist. Alles, was den ventralen Vagus stimuliert, hilft oft sehr schnell. Kannst du Trost und Berührung durch eine andere Person zulassen, so schüttet der Körper vermehrt Oxytocin aus. Ein Hormon, welches ein Gefühl von Sicherheit unterstützt und beruhigend wirkt. Außerdem hilft alles, was dich im Falle einer Panik bzw. eines Flashbacks zurück ins Hier und Jetzt bringt. Dazu kannst du einfach bei dir selbst die Atembewegung im Bauch beobachten. Wie die Bauchdecke sich hebt und senkt mit den Atemzügen. Einfach nur beobachten. Spüre vielleicht den Luftstrom an den Nasenflügeln. Wenn die Umstände es zulassen, hilft es auch, in eine Zitrone zu beißen. Oder in etwas sehr scharfes wie eine Chilischote. Das gibt dem Körper einen kräftigen Impuls, der dich in die Präsenz holen kann.
Versuche, sanft mit dir selbst zu sein. Es nützt nichts, den Körper dafür zu verurteilen, dass er sich erinnert. Im Gegenteil. Sei geduldig mit ihm so gut du kannst. Signalisiere ihm deine Solidarität und tue ihm viel Gutes. Es gab Zeiten oder einzelne Begebenheiten, da waren die Grenzen deiner Bewältigungsmöglichkeiten weit überschritten. Es war schlichtweg zu viel. Um zu überleben, hat dein Körper dich nur den kleinen Teil des Dramas spüren lassen, den du in der Situation bewältigen konntest. Alles andere musste er in irgendeine Ecke packen. Und da ist es bis heute geblieben.
Jetzt sind deine Bewältigungsmöglichkeiten komplexer. Dein Körper weiß das. Darum konfrontiert er dich heute mit Heilungsimpulsen in Form von Triggern. Das fühlt sich nicht schön an. Ist aber nötig, wenn du nicht in einer Art innerem Gefängnis verbleiben möchtest. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede.
Kannst du Trost annehmen?
Wenn du Trost annehmen kannst, dann lasse dich trösten. Eigentlich war es so, dass wir uns in der dramatischen Situation tröstende Worte und Gesten gewünscht hätten. Sie hätten das Trauma mindestens abgemildert, eventuell sogar das Abspeichern im Körper verhindert. Jedoch gab es häufig stattdessen auch noch Vorwürfe. In unserem Fall an die 5-jährige: Warum bist du auch auf die Straße gelaufen? Du weißt doch, dass der Hund nie angeleint ist… So ähnlich.
Die Übersetzung der Vorwürfe lautet: SELBER SCHULD!
Das verstärkt das Trauma. Es lässt uns alleine mit unserer Qual, was dazu führt, dass wir es erst recht irgendwohin wegpacken müssen. So einen lieblosen Umgang hält kein Mensch aus, ohne krank zu werden. Nicht mehr dran denken, en nicht mehr fühlen ist fortan die Devise. Schließlich müssen wir weiter funktionieren.
Trauma und Schuldumkehr
Fast jede Frau in unserem Alter erlebte in ihrer Vergangenheit die sogenannte Schuldumkehr. Durch Verleugnung oder Verharmlosung des Geschehenen wird beispielweise die Schuld an übergriffigem Verhalten vom Täter auf das Opfer abgewälzt. Dieser Vorgang verstärkt das Leid des Opfers massiv. Werden wir schon sehr früh auf diese Weise manipuliert, so geben wir uns später grundsätzlich selbst die Schuld, wenn wir übergriffige oder respektlose Handlungen erfahren. Dann glauben wir, dass wir irgendwas getan haben, was diese Handlungen provoziert hat. In diesem Fall ist es kaum möglich, Trost überhaupt anzunehmen. Wir glauben fest, dass wir ihn nicht verdient hätten. Das ist ein bitterer Teufelskreis, da Trost und Mitgefühl sehr heilsam für das Überwinden von Trauma sind.
Nicht immer zeigt die eigene Biografie offensichtliche traumatische Episoden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Geschichte der Frau insgesamt eine Geschichte von Trauma, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalterfahrung ist. Einen Teil davon trägt JEDE Frau in sich. Und da wir eng mit der Erde verbunden sind, spüren wir auch deren Trauma und Verletzungen in uns.
Das ist die eine Seite des Ganzen.
Das Trauma – Und dessen Heilung
Die andere Seite ist, dass du, die du Traumaerfahrung in dir trägst, ebenso mit der Kapazität und Kompetenz der Heilung ausgestattet bist. Hier gibt es kein entweder/oder. Beides ist da. Das bedeutet: Durch dich kann Heilung geschehen. Nicht nur für dich selbst, sondern für deine Sippe, für deine Generation, für die Welt. Das finde ich extrem mutmachend.
Die größte Heilkraft hierbei liegt im Spüren.
Als ich nach einer Meditation, die mich mit tiefstem Familiendrama konfrontiert hatte, sehr verzweifelt war und meinen Meditationslehrer anrief, war sein wichtigster Hinweis: Versuche, es zu fühlen. Versuche das, was zu seiner Zeit unerträglich war, jetzt zu ertragen. Und es ging. Und die gefühlte Bedrohung wurde allmählich schwächer.
Außerdem verschaffte mir diese Vorgehensweise die unendlich wertvolle Erfahrung, dass die Vergangenheit, so lange sie auch zurückliegen mag und so schwer sie auch war, einer spürenden Präsenz nicht standhalten kann.
Diese Erkenntnis war eine der wegweisendsten auf meinem persönlichen Heilungsweg.
Wir müssen die Trigger nicht aktiv suchen. Sie kommen sowieso. Und wir müssen uns bei allem auch nicht selbst überfordern. Wenn wir jedoch immer wieder ausweichen, werden wir gefangen bleiben in unseren Verstrickungen. Wir werden immerzu ausweichen und dann spielt sich unser Leben in der permanenten Vermeidung bestimmter Situationen ab.
Nur wenn wir voll und ganz akzeptieren, dass es immer wieder etwas geben wird, was uns triggert, kommen wir in die Lage, über unser persönliches Drama hinauszuwachsen. Dich selbst immer wieder in eine Balance zu bringen ist hier der Weg. Das eigene Nervensystem mit seinen vielfältigen Reaktionen verstehen und regulieren lernen. Dann werden wir sukzessive immer mehr frei werden.
Und eines Tages werden Trigger keine Macht mehr über uns haben.
In diesem Sinne
Alles Liebe …
Deine Daniela
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