Feldwege

Feldwege. Auf dem Bild ist ein Feldweg zu sehen.


Feldwege

Nimmst du lieber den Feldweg oder eher die Autobahn?

Ich gehe auf Feldwegen. Gerne zu Fuß!

Kennst du das Gefühl, nicht schnell genug voran zu kommen? Egal wie sehr du dich beeilst. Es ist wie verhext. Du hast dich abgerackert und siehst am Abend (fast) nur das, was liegen geblieben ist.
Eigentlich wollte ich heute noch…

STOP!


Viele Jahre meines Lebens habe ich auf einer Art Lebens- Autobahn verbracht. Von morgens bis abends gerödelt (nicht zu verwechseln mit: getrödelt!) und am Ende des Tages gab es immer irgendwas, was noch nicht erledigt war. Dabei waren die Tage straff durchgetaktet. Bei drei Kindern in unterschiedlichen Altersstufen und diversen Jobs kein Wunder.

Dass Pausen zum Lebensrhythmus dazu gehören, wusste ich selbstverständlich (in der Theorie!). Ich hatte leider versäumt, sie als festen Bestandteil des Tagesablaufs mit einzuplanen.

Bis der Breakdown kam! Und mit ihm erzwungenermaßen ein neues Schrittempo.

In welchem Lehrbuch steht eigentlich geschrieben, dass das Beeilen ein notwendiger Bestandteil des Lebens ist? Wie kommen wir darauf, dass wir schneller ans Ziel (an welches Ziel eigentlich?) kommen, wenn wir uns beeilen?

Natürlich ist es richtig, dass ich etwas schneller zur Bushaltestelle gehen sollte, wenn ich zu spät losgegangen bin. So etwas passiert jedem irgendwann einmal. Ich betone hier ausdrücklich den Satzteil „wenn ich zu spät losgegangen bin“. An der Stelle wäre also der Ansatzpunkt, der uns erklärt, was wir beim nächsten Mal anders machen können, damit wir uns nicht beeilen müssen. Damit wäre der Vorfall eine Ausnahme.
Oder?

Wenn ich auf meine eigene Vergangenheit schaue, sehe ich, dass es Lebensjahre gab, in denen ich Termine so eng gesetzt habe, dass an manchen Tagen kaum Zeit blieb, für mich und meine Familie eine anständige Mahlzeit zu kochen. Warf ich einen Blick auf andere Mütter, Freundinnen, Nachbarn usw. sah ich ähnliche Bedingungen. Darum fand ich es zu der Zeit völlig normal. Heute frage ich mich: Wie sind wir da hineingeraten?

Wir Menschen habe das Beeilen vom Ausnahmezustand in einen Normalzustand befördert!

Meine Erklärung für diese – in meinen Augen – völlig verrückte Entwicklung ist, dass wir Menschen das Beeilen vom Ausnahmezustand in einen Normalzustand befördert haben. Was haben wir uns nur dabei gedacht? Die vielen aktuellen Stresserkrankungen sind in einem hohen Maß auf dieses Phänomen zurückzuführen.

Bei mir hat sich das Gefühl, nicht schnell genug zu sein oder nicht genug zu leisten, irgendwann verselbständigt. Es ist an manchen Tagen einfach da. Auch dann, wenn ich objektiv erkenne, dass ich an diesem Tag ziemlich viel geschafft habe. Etwas in mir legt den Fokus allerdings auf das, was NICHT fertig geworden ist. Gelernt ist gelernt! Zum Glück kann ich dieses Vorgehen mittlerweile recht gut identifizieren und damit beeinträchtigt es mein Wohlbefinden nicht mehr so sehr.

Wir alle haben unser individuelles Schritttempo. Wenn wir verlernen, uns in diesem individuellen Tempo durchs Leben zu bewegen, geraten wir aus dem Gleichgewicht. Es bleibt etwas auf der Strecke. Teile von uns kommen nicht mit. Schlimmstenfalls verlieren wir uns selbst.

Die zentralen Botschaften, die dann unser Leben bestimmen lauten fortan: Ich bin zu langsam! Ich schaffe das nicht! Bevor ich mich ausruhen kann, muss ich noch…!

Gerade in der Schule wird auf das individuelle Lerntempo wenig Rücksicht genommen. Zumindest habe ich es in meiner Zeit als Mutter und auch in der Schulbegleitung immer wieder erlebt.

Einer meiner Söhne war von Geburt an ein eher bedächtiges Kind und legte in seinen Handlungen ein gemäßigtes Tempo an den Tag. Im Kindergarten stellte es noch kein Problem dar und eigentlich wollte er mit sechs auch noch gar nicht in die Schule. Ist ein sechsjähriges Kind allerdings kognitiv „schulreif“, wird es damit auch schulpflichtig. Also gab es für ihn und uns keine Alternative.
Schon in der Grundschule hörte ich am Ende des Schuljahrs regelmäßig Sätze wie: „Er ist zu langsam!“ „Er verliert den Anschluss an die Klasse!“ „Er muss lernen, schneller zu arbeiten!“ Und so weiter… Das hat mich als Mutter enorm verunsichert! War er doch eigentlich ein freundlicher, zufriedener Junge.
Nach der dritten Klasse haben sein Vater und ich uns dazu entschlossen, ihn wiederholen zu lassen. Da seine Noten grundsätzlich okay waren, mussten wir diesen Schritt begründen, was uns auch gelang. Sein Klassenlehrer, dessen Beurteilung sich bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend auf die oben beschriebenen Aussagen begrenzte, schlug plötzlich einen anderen Ton an: „Eigentlich lasse ich ihn nicht gerne gehen.“
Aha, Was denn jetzt? Ich fragte, warum das so sei. Und der Lehrer antwortete: „Weil er so ein friedlicher Vertreter ist. Er bringt Ruhe in die Klasse!“

Finde den Fehler!

Heute ist er ein tatkräftiger junger Mann mit einem Bachelor Abschluss in Sozialer Arbeit (2. Bildungsweg). Er gehört zu denen, die „nur“ zweiunddreißig Wochenstunden im Job leisten möchten, um seinem individuellen Bedürfnis nach erfüllender Freizeit in gesundem Maße nachkommen zu können. Bin stolz auf ihn!

„Slow down“, „Work-Life-Balance“ oder „Entschleunigung” sind Begriffe, die jede/r kennt und die mittlerweile salonfähig sind. Und das ist gut so!

Ich möchte das Leben einmal mit einer Bergbesteigung vergleichen. Wenn wir den Gipfel erreichen wollen, dann ist es gut, unser individuelles Schrittmaß zu kennen. Wir müssen uns im angemessenen Tempo vorwärts bewegen, sonst kommen wir nicht an. Es nützt nichts, wenn wir alles dafür tun, die Vorgaben anderer zu erfüllen und auf halber Strecke schlapp machen. Dies ist allzu mühsam und fördert kein glückliches Lebensgefühl.
Genau darum finde ich es wichtig, dass wir unsere Kinder darin unterstützen, ihr eigenes Tempo ernst zu nehmen und damit vertraut zu werden. Um das zu können, brauchen wir natürlich zuallererst ein Bewusstsein für unser eigenes Lebenstempo.

Zwischen Feldweg und Autobahn gibt es natürlich ein Spektrum, in dem sich jede/r in ihrem/seinem Tempo durchs Leben bewegen sollte. Landstraße, Spielstraße, Radweg…. Wo würdest du dich selbst einordnen? Es wird höchste Zeit, dass die gängigen Bewertungen „hohes Tempo = gut, langsames Tempo = schlecht, endlich ausrangiert werden. Das Leben selbst bewertet das Schrittmaß des Einzelnen nicht. Mit welcher Berechtigung tun wir Menschen es also?

Ich bin zu einer Lebens-Fußgängerin geworden. Wenn´s schneller gehen soll, benutze ich den Radweg. Und um nichts in der Welt möchte ich noch einmal auf der Autobahn des Lebens landen.

Wie bist du unterwegs? Eher Feldweg oder Autobahn? Schreib es gerne in die Kommentare.

Ich wünsche dir eine gute und stressfreie Zeit in deinem individuellen Tempo.

Alles Liebe,

Deine Daniela

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