Wenn uns das Leben dazwischen funkt

Auf dem Bild ist ein Baumstumpf zu sehen aus dem neues Grün erwächst. Es gehört zu dem Artikel "Wenn uns das Leben dazwischen funkt".


Wenn uns das Leben dazwischen funkt

Wenn uns das Leben dazwischen funkt.

Im März 2023 hatte mein Mann Thomas einen Gesprächstermin mit einer Rentenberaterin. Nach dem Gespräch war klar, dass er etwa ein Jahr später einen Rentenantrag stellen würde. Wiederum vier Monate später könnte er dann abzugsfrei in Rente gehen.


Dachten wir! Aber das Leben ist ja immer irgendwie anders.

Im vergangenen November (2023) ist Thomas aufgrund einer Firmeninsolvenz arbeitslos geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben. In seinen 48 Berufsjahren hat er viele Veränderungen erlebt. Arbeitslos war er nie. Eine neue Erfahrung. Zu einem Zeitpunkt, den er sich nicht ausgesucht hatte. Ist das jetzt gut oder schlecht? Macht es überhaupt Sinn, die Umstände – ganz gleich, wie sie sich darstellen – zu kategorisieren oder zu bewerten?

Alle Rentenpläne müssen nun neu überdacht werden und es ist ein Rechenexempel, ob es klüger ist, sein Geld noch eine Weile aus der Arbeitslosenversicherung oder schon bald aus der Rentenkasse zu beziehen.

Was ich damit sagen möchte: Wenn wir Pläne für die Zukunft entwerfen, sollten wir dabei immer ein bisschen Raum für die Unwägbarkeiten des Lebens berücksichtigen. Dann fällt es leichter, mit ihnen umzugehen.

Es fällt auch leichter, die unvorhersehbaren Hindernisse des Lebens anzunehmen, wenn wir davon ausgehen, dass das Leben sowohl unsere individuelle als auch die globale Evolution voranbringen möchte. Es will uns wachsen lassen. An Hindernissen!

In Thomas´ Fall ist es so, dass er vorhatte, mit dem Renteneintritt seine langjährig als Hobby betriebene Gitarrenwerkstatt auf professionelle Füße zu stellen. Nun hat er die Gelegenheit, schon ein halbes Jahr früher damit zu beginnen. Jetzt stelle ich noch einmal die Frage: Ist das gut oder schlecht? Thomas erlebt es nach einem kurzen Moment der Fassungslosigkeit als glückliche Fügung.

Wir erleben lediglich die Illusion von Kontrolle. Wir bilden uns ein, dass wir unser Leben „im Griff“ hätten. Das funktioniert allerdings nur so lange, wie sich die unvorhergesehenen Einschübe immer noch einigermaßen in unseren kopfgesteuerten Alltag integrieren lassen und unsere Emotionen nicht zu stark belasten.
Latent schwingt jedoch immer die Angst mit, dass einmal etwas geschehen könnte, was uns aus der Bahn wirft. Der Arbeitsplatzverlust vielleicht oder der Tod eines geliebten Menschen. Genau diese Angst ist die (Haupt-) Grundlage, auf der wir unsere täglichen Handlungsstrategien entwerfen. Es wird Zeit, dass wir uns dessen bewusst werden! Unserer Angst entspringt das Bedürfnis nach Kontrolle. Ihr entspringt auch der Wunsch, andere Menschen – zum Beispiel unsere Kinder – zu kontrollieren.

Wie viel Anstrengung in einer solchen Lebenshaltung liegt, erkennen wir oft erst, wenn wirklich etwas „Schlimmes“ geschieht und wir unseren eigenen Status Quo nicht mehr halten können. Wenn dann so richtig alles zusammenbricht, lernen wir – gezwungenermaßen – auf Vertrauen umzuschalten. Sowas heißt im Therapeutenjargon auch „Resignative Reife“.

Anhand dieser Frage können wir erkennen, wie stark und nachhaltig erlernte Konditionierungsmuster wirken. Wir sind von Kindesbeinen an auf Kontrolle, Konkurrenz und Misstrauen gepolt. Unsere Vorbilder haben ebenfalls auf der Basis von Angst ihre täglichen Entscheidungen getroffen. Und gelernt ist gelernt! Die alten Erlebensweisen sind uns schon lange in Fleisch und Blut übergegangen. Wir halten an den alten Mustern fest, bis es nicht mehr geht. Weil sie uns vertraut sind!

Jetzt stellt sich die Frage, ob wir ebendiese Konditionierungsmuster ungefiltert an unsere Kinder, bzw. an die nächsten Generationen weitergeben möchten?

Wer einmal ein paar Schritte von der Kontrolle weg in Richtung Vertrauen gewagt hat, wird schnell erkennen, dass echtes Vertrauen so, so viel Last von unseren Schultern nimmt. Der schwere Rucksack, den wir üblicherweise mit uns durchs Leben tragen, verliert spürbar an Gewicht, wenn wir uns vertrauensvoll in eine höhere Kraft hineinlehnen. Aber wie kann man das hinbekommen?

Ein erster Schritt wäre eine Veränderung an einem Alltags-Stress-Verhalten, welches ich bei vielen Zeitgenossen beobachte.

Job, Chor, Sport, Haushalt und so weiter lassen es oft schon nicht zu, uns täglich eine nahrhafte Mahlzeit zu kochen. Geschweige denn, dass uns etwas Größeres in die Quere kommen könnte. Jede Minute wird mit irgendwas gefüllt.

Wo findet das Leben selbst in einer so engen Alltags-Taktung noch Platz?

Müßiggang ist eher selten Teil der täglichen Routinen. Wir planen eigentlich nur die planbaren Gewohnheiten, Events und Beschäftigungen, nicht jedoch großzügige freie Zeiten.
Doch was passiert, wenn das Leben uns einmal kräftig dazwischen funkt? Was passiert, wenn wir ernsthaft krank werden? Oder der Teenager entwickelt aus heiterem Himmel ein Eigenleben. Vielleicht braucht die alte, langsam gebrechlich werdende Mutter plötzlich mehr Aufmerksamkeit. Wo holen wir die Zeit, uns gewissenhaft um diese Dinge zu kümmern, dann noch her?

Solche Zwischenfälle fragen nicht nach der individuellen Lebenssituation. Sie geschehen! Und irgendwie kommen sie dann immer „unpassend“. Dabei sind sie genauso ein normaler Teil des Lebens wie unser tägliches Schaffen.

Und wenn du Kinder hast, wie ist es bei ihnen? Können sie es sich leisten, wegen einer Grippe zwei oder drei Wochen in der Schule zu fehlen, ohne nachher Berge von Aufgaben nachholen zu müssen? Nach meinen Erfahrungen mit unseren Kindern nicht! Da stellt sich mir sofort die Frage, mit welcher Berechtigung wir unsere Kinder schon so früh in höchst ungesunde Stress-Schleifen packen.

Was wäre, wenn wir das Leben mehr als Spiel betrachten würden? Ist das ein unerhörter Gedanke? Ich finde, es hilft enorm, wenn wir lernen, uns selbst und auch so manchen „Knochenjob“ nicht mehr so (bitter-) ernst zu nehmen. Eine gehörige Portion Gelassenheit (auch und gerade im „Ernstfall“) mit einer Prise Humor würde uns allen gut tun.

Ein wirklich tolles Übungsfeld, Kontrolle aufzugeben ist der eigene Garten. Hast du einen Garten? Ich versichere dir. Sobald zu anfängst, ein paar Ecken ein wenig verwildern zu lassen, wirst du sehr schnell feststellen, dass du das Leben nicht kontrollieren kannst. Sauerklee, Giersch, Brennessel und wie sie alle heißen, freuen sich, endlich ihre Reviere abstecken zu können. Und dabei nehmen sie im wahrsten Sinne des Wortes „Keine Rücksicht auf Verluste“. Auch unser Dost hat im vergangenen Jahr große Teile meines Gartenbeetes erobert. Natürlich rücke ich der selbstvermehrenden Wildnis hin und wieder mit der Grabegabel zuleibe. Aber wenn der Dost blüht und sich Heerscharen von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen daran laben, erkenne ich, dass alles gut und am richtigen Ort ist. Dann fühle ich mich beseelt und spüre deutlich, dass wir zusammengehören, die Bienen und Hummeln, die Schmetterlinge und ich.

In diesem Sinne…

Herzliche Grüße,

Deine Daniela

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