Wir müssen reden!

Das Bild zeigt einen Mann und eine Frau. und den Text: Wir müssen reden!


Wir müssen reden!

Schon wieder! Wir müssen reden!

Wir hören nicht auf zu wachsen. Durch unser ganzes Leben hindurch findet Wachstum statt. Zumindest wenn wir es zulassen.

Und was ist mit: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr?“

Diese Weisheit dürfen wir getrost als überholt in die Mottenkiste packen. Das Lernen mag sich bei Hänschen anders gestalten, als es das bei Hans tut. Unser Gehirn ist jedoch ein Leben lang fähig zu lernen. Eher hapert es bei vielen an der Bereitschaft, neues zu lernen.


Viele Frauen in der zweiten Lebenshälfte durchleben – insbesondere in der Zeit der Wechseljahre – krisenhafte Zustände. Das war bei mir auch so. Eine innere Stimme meldet sich mit zunehmender Vehemenz. Ich nenne sie die Stimme des Herzens. Das Zurückdrängen dieser inneren Stimme lässt sich nur noch mit Mühe und unter großer Kraftanstrengung oder mithilfe von Medikamenten aufrechterhalten.

Warum geschieht so etwas? Warum können wir nicht in Ruhe weiterleben wie bisher. Einfache Antwort:

Es gibt noch etwas in dir, das gelebt werden möchte!

Wenn man will, könnte man es das (bisher) „ungelebte Leben“ nennen. Anteile, die früh verdrängt und/oder mit großem Kraftaufwand unterdrückt wurden, suchen sich nun mit enormer Wucht den Weg in dein Bewusstsein. Und die Botschaft ist unzweifelhaft:

So, wie es war, geht es nicht weiter!

Besonders in Partnerschaften kann das Beschreiten neuer Wege für Frauen eine große Herausforderung sein. Wenn die Veränderungen von innen heraus stattfinden, fordert das ein Überdenken und oftmals ein Loslassen alter Lebensgewohnheiten. Vieles bisher Bestehende wird ungewiss. Und Lösungen sind weit und breit nicht in Sicht. Spätestens an diesem Punkt wird der Prozess auch für den Partner spürbar. Wir müssen reden! Ernsthaft! Das trifft nicht immer auf großes Verständnis. Schließlich war doch bis vor ein paar Wochen noch alles gut! Oder?

Wie erkläre ich meinem Mann, dass es so wie bisher, nicht weitergehen kann?

Wie kommuniziere ich beispielsweise, dass ich beschlossen habe, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen?
Eine Erkältung meines Mannes hatte mir quasi den Weg bereitet. Er hustete nächtelang. Um überhaupt schlafen zu können, zog ich vorübergehend in ein anderes Zimmer. Von dort bin ich dann einige Jahre lang nicht wieder ins gemeinsame Schlafzimmer zurückgezogen. Damit hatte keiner von uns gerechnet. Und wieso das Ganze?

Ich merkte, dass ich alleine wesentlich ruhiger und tiefer schlafen konnte als mit Ihm an meiner Seite. Lange hatte ich darunter gelitten, dass ich im gemeinsamen Schlafzimmer sehr schlecht schlief, während Er nach etwa zwei Minuten Einschlafphase in Tiefschlaf fiel. Manchmal auch geräuschvoll.

Nun hatte ich einen neuen Schlafplatz gefunden und Er fühlte sich abgelehnt. Kein schöner Zustand für beide.

Es kommt noch dicker.

Wie kommuniziere ich, dass ich keine Lust mehr auf S*x habe? S*x ist in vielen Partnerschaften immer noch ein heikles Thema. Über die eigene Intimität und die damit verbundenen Befindlichkeiten zu sprechen, haben wir (zumindest in unserer Generation) nicht gelernt. Und wir (Er und Ich) haben es auch als Erwachsene lange Zeit nicht weiterentwickelt. Wozu auch? Bis vor ein paar Wochen hat doch alles noch gut geklappt! Oder?

Oder war es schon eine ganze Weile unbefriedigend und Ihm zuliebe habe ich es halt doch gemacht? Wie so viele Frauen, habe auch ich meine Zeit gebraucht, um zu spüren, dass ich so nicht weitermachen wollte.

Wir müssen reden! (Er verdreht die Augen. Was denn jetzt noch?)

Irgendwann kam der Tag, deutlich auszusprechen, dass es auch in diesem Lebensbereich so nicht weitergehen würde und ich eine längere Auszeit nehmen werde. Wie lange, wusste ich nicht. Mit dem Ergebnis, dass Er sich noch mehr abgelehnt fühlte.

Keine schöne Basis für unsere bröckelig gewordene Beziehung.

Keiner von uns wusste, wo der Weg hingehen würde.

Das einzige, was ich klar wusste, war, dass ich viel, viel Zeit für mich selbst brauchte. Jahre der Selbst- Vernachlässigung und des „sich nicht Spürens“ forderten nun ihren Tribut. Fast täglich merkte ich irgendetwas, was mir nicht mehr gut tat. Was sich nicht mehr richtig anfühlte. Einiges davon konnte ich mit mir selbst ausmachen, vieles jedoch betraf naturgemäß auch Ihn. Schließlich lebten wir immer noch im selben Haushalt. Und wir sahen uns auch beide weiterhin als Lebenspartner.

Nur war ich zunehmend weniger zu Kompromissen bereit. Heute sage ich: Gott sei Dank! Auch wenn es sich mitunter wie ein Schlachtfeld darstellte. Viele Gespräche endeten in einem zwanghaften und aggressiven „aufeinander reagieren“. Gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen inklusive.

Die Argumentation „Es fühlt sich nicht mehr gut (oder richtig) an“ klingt zunächst vielleicht etwas fadenscheinig. Zumindest für den Partner, der mit dieser Form von Begründung nicht vertraut ist. Und der sich erst einmal schwertut, sie zu akzeptieren. Sie ist aber fortan die wichtigste Begründung! Denn mit ihr wird das entstandene Problem auf den Punkt gebracht. Es fühlt sich nicht mehr gut an! Nun liegt es in meiner Hand, die ungute Situation zu verändern. Ich habe endlich angefangen, mich zu spüren. Und handle entsprechend!

„Es fühlt sich nicht mehr gut an.“

Wie ist es bei dir? Sei ehrlich. Spüre einmal in dich hinein. Gehe in Gedanken einmal die letzten paar Tage durch. Gibt es Lebensbereiche, wo du mit der Faust in der Tasche und um des lieben Friedens willen weiter machst wie bisher? Was fühlt sich nicht mehr richtig an? Möglicherweise ist auch bei dir die Zeit gekommen, Schluss mit faulen Kompromissen zu machen.

Der unterschwellige Groll, den viele Kompromisse hinterlassen, sammelt sich wie ein Sediment am Boden deiner Seele. Das kann dazu führen, dass du entweder oft wütend oder ständig nörgelig bist. Oder es macht dich körperlich krank.

Sich selbst nicht ernst zu nehmen, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, macht uns auf Dauer krank. Körperlich, seelisch und mental.

Mein krisenhafter Lebensabschnitt mündete darin, dass ich zunächst im Yoga wieder Boden unter die Füße bekam. Ein paar Jahre später kamen die Meditationen hinzu. Immer tiefer, immer nachhaltiger gestaltete sich die Verbindung zu mir selbst. Und damit einhergehend die Veränderungen im Außen. Ein Gefühl innerer Stabilität nahm kontinuierlich zu. Immer neue Lebensbereiche wurden erkennbar, die auf ihren Gehalt überprüft wurden. Immer wieder dieselben Fragen:

Wie möchte ich mein weiteres Leben gestalten? Was will ich noch vom Leben und vor allem: Was will das Leben noch von mir?

Endlich nahm ich mir die Freiheit, Vegetarierin zu werden, was mir körperlich so, so gut tut. Da mir das Kochen Freude macht und ich im Haus die Köchin bin, eine neue Herausforderung für den Fleischesser. Wir haben Lösungen gefunden.

Mittlerweile trägt Er es mit Fassung, wenn ich ansage, dass es von meiner Seite Gesprächsbedarf gibt. Er meditiert seit ein paar Jahren auch. Yoga machen wir ebenso beide. Zwar in unterschiedlichen Räumen, aber im selben (Online-) Kurs. Und zwischendurch – ganz still – während der Corona-Pandemie, haben wir geheiratet.

Wir (Er und Ich) sind uns heute näher als wir es vor der großen Krise je waren. Auch körperlich. Wir trauen uns, zu neuen Horizonten aufzubrechen ohne das genaue Ziel zu kennen. Jeder für sich und auch gemeinsam.

Warum ich das schreibe? Weil ich dich ermutigen möchte, dem zunächst zaghaften Puls deines Herzens zu folgen. Lausche! Verbinde dich mit der Stimme deines Herzens! Sie kann dich führen.

Wenn sich etwas nicht mehr richtig anfühlt, sprich es an. Am besten BEVOR du es an den Rand der Unerträglichkeit verschleppst. Und wenn du einen Partner oder eine Partnerin hast, dann lernt gemeinsam, die Ungewissheit auszuhalten, die mit dem Beschreiten neuer Wege einhergeht.

Der Weg eröffnet sich dir, wenn du beginnst, ihn zu beschreiten (nach einem Zitat von Rumi).

Neue Wege erfordern Mut, weil wir viel Vertrautes hinter uns lassen müssen. Oft entsteht zunächst Chaos. Nicht jede Partnerschaft hält ein paar mittelschwere Erdbeben aus. Wir erleben Transformation. Jedoch wissen wir am Anfang oft nicht, welche Kräfte da in uns wirken. Das kann Angst machen. Bei sowas gibt es kein Zurück in die alten Gewohnheiten. Der Weg geht immer nur nach vorne. Wie in Wellen spült das Leben uns mal hierhin, mal dorthin.

Prozesse dieser Art erfordern von beiden Partnern Geduld. Und Verständnis füreinander, da jeder in seinem eigenen Tempo unterwegs ist. Wir können lernen, dem Leben zu vertrauen. Das ist die wichtigste Lektion.

Da wir das Leben nicht kontrollieren können, hilft im Grunde nur Vertrauen.

Ich wünsche dir Mut zu neuen Wegen. Mut, eingetretene Pfade zu verlassen, wenn die Richtung nicht mehr stimmt. Und die Beherztheit, Missstände anzusprechen. Finde Lösungen, ohne dabei falsche Kompromisse einzugehen. Es soll sich gut und richtig anfühlen. Das ist der Maßstab.

Alles Liebe,

Deine Daniela

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